
Das Jahr 1968 war ein turbulentes Jahr: Studentenproteste brannten auf der ganzen Welt, die Vietnamkriegserklärung der USA spaltete Amerika und Neil Armstrong machte seinen ersten Schritt auf dem Mond. Inmitten dieser globalen Umbrüche schuf der südkoreanische Künstler Do-ho Suh mit “Der Schrei des Himmels” ein Kunstwerk, das die tiefgreifende emotionale Zerrissenheit seiner Zeit einfängt. Doch Suhs Werk ist nicht einfach nur eine Reaktion auf die politischen und gesellschaftlichen Spannungen. Es ist vielmehr eine Synthese aus westlichem Abstraktem Expressionismus und traditioneller fernöstlicher Kalligraphie – ein einzigartiges Zeugnis für Suhs kulturelle Doppelherkunft.
Suh wurde 1946 in Daegu, Südkorea geboren. Seine Familie wanderte nach dem Koreakrieg in die Vereinigten Staaten aus, wo er seine künstlerische Ausbildung an der Art Students League in New York begann. Die Begegnung mit dem Abstrakten Expressionismus, insbesondere den Werken von Jackson Pollock und Willem de Kooning, prägten Suhs Kunstsicht nachhaltig. Er adaptierte ihre kraftvollen Gesten und die expressive Verwendung von Farbe, verschmolz sie aber gleichzeitig mit den eleganten Linienführungen und der Minimalität traditioneller koreanischer Kalligraphie.
“Der Schrei des Himmels” ist ein großformatiges Gemälde auf Leinwand, das mit kräftigen Pinselstrichen in Schwarz, Rot und Weiß gemalt ist. Suhs
Handschrift ist deutlich erkennbar: wilde, energetische Striche treffen auf präzise, geometrische Formen. Die Komposition ist dynamisch und gleichzeitig ausbalanciert. Schwarze Flächen dominieren den Hintergrund, durchbrochen von roten Linien, die sich wie Blitze über die Leinwand ziehen. In diesen roten Linien verbirgt sich eine subtilere Kalligrafie, die an chinesische Schriftzeichen erinnert, ohne jedoch direkt lesbar zu sein.
Element | Interpretation |
---|---|
Schwarzer Hintergrund | Repräsentiert das Unbekannte, die Leere, die Angst vor der Zukunft |
Rote Linien | Symbolisieren den Lebensdrang, die Rebellion gegen Konventionen, den “Schrei des Himmels” |
Weiß | Steht für Reinheit, Hoffnung und die Sehnsucht nach Frieden |
Die Dynamik in Suhs Malerei spiegelt die inneren Konflikte wider, denen sich viele Menschen in der Nachkriegszeit ausgesetzt sahen. Der kalte Krieg spaltete die Welt, der Vietnamkrieg brachte
unvorstellbares Leid mit sich. “Der Schrei des Himmels” ist eine visuelle Metapher für diese globale Unruhe, aber auch für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Suhs Werk wird oft als “Lyrischer Abstraktionsismus” bezeichnet. Er selbst sah seine Malerei als eine Form der
Meditation:
“Die Kunst ermöglicht es mir, mich mit meinen inneren Emotionen zu verbinden und sie in Farbe und Form auszudrücken.”
Durch die Kombination von westlichen und östlichen Einflüssen schuf Suh einen einzigartigen Stil, der sowohl kraftvoll als auch meditativ ist. “Der Schrei des Himmels”
ist ein bewegendes Zeugnis für die Macht der Kunst, emotionale
Zerrissenheit und Sehnsucht nach Frieden auszudrücken – ein Thema, das auch heute noch
aktuell ist.
Kann Abstrakter Expressionismus wirklich mit fernöstlicher Kalligraphie verschmelzen?
Die Frage nach der Verschmelzung von Stilen ist im Kontext von Suhs Werk
besonders interessant. Er selbst sah diese Verschmelzung nicht als einen bewussten Akt, sondern eher als eine natürliche Folge seiner kulturellen Erfahrungen.
Seine westliche Ausbildung in Malerei und
die tiefgreifende Verbundenheit zu seiner koreanischen Herkunft prägten seine Kunst auf
grundlegende Weise. Suh nutzte die kraftvolle Energie des Abstrakten Expressionismus,
um seine inneren Emotionen auszudrücken. Doch gleichzeitig integriere er die Präzision und
Minimalität der
koreanischen Kalligrafie in
seine Kompositionen. Diese Verschmelzung
ist nicht immer direkt sichtbar, sondern manifestiert sich eher in
der Balance zwischen Dynamik und Ruhe,
zwischen
Expressivität und
Kontrolle.
Die Bedeutung des “Schrei” im Werk Suhs:
Der Titel “Der Schrei des Himmels” lässt viele Interpretationen zu. Er könnte als Ausdruck der
globalen Unruhe und des Kampfes für
Frieden verstanden werden. Doch auch eine persönliche Interpretation ist denkbar:
Suhs
eigenes Streben nach künstlerischer Freiheit
und die Auseinandersetzung mit
seinen kulturellen Wurzeln. Der “Schrei”
könnte also sowohl
auf gesellschaftliche als
auch auf individuelle
Konflikte verweisen. Suhs Kunst
bietet keinen einfachen
Antworten, sondern
fordert den Betrachter heraus,
sich
mit den komplexen
Fragen der
menschlichen Existenz auseinanderzusetzen.