
Inmitten des zwölften Jahrhunderts erblühte die englische Kunst, geprägt von einem faszinierenden Mix aus angelsächsischer Tradition und normannischen Einflüssen. Während imposante Kathedralen das Land prägten, entwickelte sich auch die Buchmalerei zu einer beeindruckenden Kunstform. Ein herausragendes Beispiel dieser Epoche ist der “Icomb Psalter”, ein illuminiertes Manuskript, das heute in der Bodleian Library in Oxford verwahrt wird.
Der Psalter, benannt nach dem Dorf Icomb in Gloucestershire, wo er einst entdeckt wurde, entstand vermutlich um 1150. Er enthält die vollständige Übersetzung des Buches der Psalmen ins Lateinische, verziert mit einem üppigen Zyklus von Miniaturmalereien und Ornamenten. Diese Miniaturen bieten uns einen faszinierenden Einblick in das religiöse Leben, die Kultur und die Kunstfertigkeit der damaligen Zeit.
Ein Fest für die Sinne: Die Miniaturmalerei des “Icomb Psalters”
Die Malereien des “Icomb Psalters” zeichnen sich durch ihre lebendige Farbgebung, detaillierte Darstellung von Figuren und Landschaften, sowie eine bemerkenswerte Bildkomposition aus. Die Künstler beherrschten die Technik der Temperamalerei mit virtuoser Präzision.
Betrachten wir zum Beispiel die Miniatur “König David vor Gott”. Hier wird der biblische König in Anbetung vor dem Thron Gottes dargestellt. Der Himmel erstrahlt in einem leuchtenden Blau, durchzogen von goldenen Strahlen. Gottes Gestalt erscheint majestätisch und strahlend, umgeben von Engeln mit goldenen Flügeln.
Das Bild erzählt nicht nur die Geschichte des Psalmenschreibers David, sondern vermittelt auch ein tiefes Gefühl der Ehrfurcht und Gottesnähe. Die detaillierte Ausführung der Kleidung, Gesichter und Architektur unterstreicht die handwerkliche Meisterschaft der Künstler.
Neben religiösen Szenen finden sich im Psalter auch dekorative Elemente wie florale Muster, geometrische Formen und groteske Figuren. Diese Ornamente verleihen dem Manuskript einen eleganten und komplexen Charakter.
Symbole und Bedeutungen: Die Sprache der Bilder
Die Miniaturmalerei des “Icomb Psalters” ist nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch reich an symbolischer Bedeutung. Viele der Darstellungen enthalten versteckte Botschaften und religiöse Allegorien.
Die Künstler verwendeten eine Vielzahl von Symbolen, um komplexe theologische Konzepte zu illustrieren. Zum Beispiel diente die Lilie häufig als Symbol für Reinheit und Unschuld, während der Löwe Stärke und Königlichkeit repräsentierte.
Der “Icomb Psalter” ist ein Zeugnis dafür, wie die Buchmalerei im Mittelalter nicht nur dazu diente, Texte zu illustrieren, sondern auch eine eigene Sprache entwickelte, um religiöse Botschaften zu vermitteln. Die Leser dieser Zeit konnten in den Bildern Geschichten und Lehren entdecken, die über die Worte hinausgingen.
Ein Blick in die Werkstatt des Künstlers: Stil und Technik
Die Entstehung des “Icomb Psalters” wird einer Schule von Buchmalern zugeschrieben, die im Südwesten Englands tätig waren. Der Stil des Psalters weist charakteristische Merkmale auf, wie zum Beispiel die elongated Figurenproportionen, die lebhaften Farben und die detailreiche Darstellung von Ornamenten.
Die Künstler verwendeten eine Technik namens Temperamalerei, bei der Pigmente mit Eigelb vermischt wurden. Diese Farbe war langlebig und erlaubte es den Malern, feine Details und lebendige Farbverläufe zu erzeugen.
Die Miniaturmalereien im “Icomb Psalter” sind meist auf Pergamentpapier ausgeführt. Das Pergament wurde aus Tierhäuten hergestellt und bot eine glatte und strapazierfähige Oberfläche für die Malerei.
Der “Icomb Psalter” heute: Ein Schatz der mittelalterlichen Kunst
Heute ist der “Icomb Psalter” ein geschätztes Artefakt in der Sammlung der Bodleian Library. Er wird sorgfältig konserviert und steht für wissenschaftliche Untersuchungen und öffentliche Ausstellungen zur Verfügung.
Durch die Analyse des Stils, der Materialien und der ikonographischen Darstellungen können Kunstwissenschaftler wertvolle Erkenntnisse über das künstlerische Schaffen im zwölften Jahrhundert gewinnen. Der Psalter dient auch als Quelle für die Erforschung der religiösen Praktiken und des Alltagslebens in dieser Zeit.
Fazit: Ein Meisterwerk mit bleibender Wirkung
Der “Icomb Psalter” ist mehr als nur ein religiöses Buch. Er ist ein faszinierendes Zeugnis der mittelalterlichen Kunst, das uns durch seine prachtvollen Miniaturmalereien und symbolischen Darstellungen in eine vergangene Welt entführt. Die handwerkliche Meisterschaft der Künstler, die lebendigen Farben und die detailreiche Bildsprache machen diesen Psalter zu einem wahren Meisterwerk.
Seine Erhaltung bis heute ist ein Glück für alle Kunstliebhaber und Wissenschaftler, denn er bietet uns einen einzigartigen Einblick in die Kultur, Religion und Kunstfertigkeit des 12. Jahrhunderts.